Rolfing® erklärt

Die 10er-Serie

 

Teil 2: funktionelle und strukturelle integration


Sitzung 4, 5, 6, und 7: Die Core-Sitzungen

Nachdem die ersten drei Sitzungen überwiegend oberflächliche Strukturen (Brustkorb, Becken, Fuß u.a.) und Faszienschichten fokussiert, werden in den Sitzungen 4 - 7 tiefere Ebenen des Körpers adressiert: der sogenannte Kern (engl. Core), definiert als die Bereiche nahe der Wirbelsäule und der Mittellinie des Körpers. Veränderungen, aber auch Ziele des individuellen körperlichen Prozesses werden klarer ersichtlich.


Sitzung 4: Spüre die innere Mittellinie
Die innere Mittellinie bezieht sich auf das Wahrnehmen einer gedachten vertikalen Linie, die von den Füßen über die Innenseite der Beine und den Beckenboden bis vor die Wirbelsäule gelangt. Diese Linie erlaubt es dem Körper einerseits, die Unterstützung der Beine besser wahrzunehmen, andererseits aber auch die Spannung rund um das Becken und den Beckenboden zu lösen. Am Ende der Sitzung entsteht das Gefühl einer einfachen Aufrichtung des Körpers, die vom Boden aus initiiert wird und ungehindert durch den Körper fließen kann.


Sitzung 5: Atmung trifft Gehen
Die fünfte Sitzung schließt sich inhaltlich nahtlos der vorherigen vierten Sitzung an. Der gewonnene Kraftfluss von den Füßen herauf findet durch eine neue Ordnung im tiefen Becken- und Bauchraum seine Fortsetzung, sodass Bewegung (insb. Gehen) leichter geschehen kann. Dabei spielt die Funktion des Musculus Iliopsoas, auch bekannt als Hüftbeuger, eine wichtige Rolle: Dieser soll in einer adäquaten Balance zu den Bauch- und Beinmuskeln agieren. Dadurch gewinnt das Becken und die Vorderseite der Wirbelsäule an Freiheit und kann sich besser bewegen. In der Vorstellung beginnen die Beine nun nicht mehr von den Hüftgelenken abwärts, sondern mehr vom inneren Rumpf und vom Zwerchfell. Die Atmung und der Gang finden einen gemeinsamen Rhythmus, der beide Bewegungen effizienter geschehen lässt.


Sitzung 6: Schenke dem Sakrum Raum

Das Kreuzbein (Sakrum) verbindet als eine Art Schlussstein die knöcherne Wirbelsäule mit dem knöchernen Becken. Seine natürliche Beweglichkeit ist limitiert, jedoch vorhanden. Eine adäquate Position des Sakrums erlaubt es, Kräfte ungehindert auf- und abwärts zu leiten. Dies wird in Sitzung 6 durch die Arbeit an tiefen Strukturen des Gesäßes sowie Bandstrukturen rund um das Sakrum erreicht. Darüber hinaus empfängt die Beinrückseite als abwärts verlaufende Linie die nötige Aufmerksamkeit, um vom Boden mit der Gravitation interagieren zu können. Oberhalb des Sakrums soll die Wirbelsäule eine harmonische Kurve darstellen mit einem sanften Übergang von Lenden- zur Brustwirbelsäule. Gelingt dies, kann sich die Wirbelsäule als Resultat längen und die Atmung in undulierenden (wellenartigen) Bewegungen durch den gesamten Rumpf bis ins Becken hinein entfalten. 

Sitzung 7: Setze den Kopf auf

In jeder Sitzung werden Regionen im Schulter-Nacken-Bereich berücksichtigt. Sitzung 7 widmet sich ausschließlich diesem Gebiet mit dem Ziel, den Kopf gut auf der Wirbelsäule auszurichten und umgekehrt dem Kopf ein gutes Fundament zu schenken. Dazu werden die faszialen Strukturen des Gesichts und des Skalps berührt. Hinzu kommt die Öffnung der oberen Atemwege in den tiefen Halsschichten. Das Erreichen einer guten Kopfposition unterstützt wechselseitig eine gute Beckenposition, sodass mit der letzten Kern-Sitzung die angepeilte und wünschenswerte Ausrichtung des knöchernen Skeletts und der myofaszialen Strukturen angestrebt und manifestiert wird.


Sitzung 8, 9 und 10: Die integrierenden Sitzungen

In den Sitzungen 1 - 7 wurde der Körper quasi auseinandergebaut, in seine Einzelteile unterschieden und die Funktion und Position eben jener optimiert. Die letzten drei Sitzungen sind integrierender Natur: Die einzelnen Bauteile werden wieder zusammengefügt und aus mehreren Einzelteilen wird ein Ganzes. 

Von der gefühlten Mittellinie aus soll der Körper in der Lage sein, sich in alle erdenklichen und wünschenswerten Richtungen bewegen zu können. Dazu werden längere fasziale Verbindungen betrachtet, um diese mit Hilfe gezielter Bewegungsaufgaben zu aktivieren oder zu hemmen und somit in eine gute Beziehung zueinander zu bringen. Gelungene Integration zeigt sich in einer leichten, mühelosen Bewegung. Dies ist für den Betrachter erkennbar und für den Klienten spürbar. Eine dreidimensionale Bewegung entsteht, besonders sichtbar im Gangbild durch einen beschwingten Schultergürtel, einem mobilen Brustkorb und Becken sowie einer klaren Bewegungsrichtung.
Im Kontext der gesamten Serie ergibt sich für den Klienten die Möglichkeit, vollkommen neue Körpererfahrungen und Gefühle zu entdecken, die den eigenen Kosmos erweitern. Die Anpassungsfähigkeit steigt, die Wahrscheinlichkeit für Verletzungen sinkt. Ein gut integrierter Körper kann sich der Umwelt voll zuwenden und öffnen und hält dabei stets Kontakt zur eigenen Mitte - er genießt die Raumerfahrung (Space), während er die Unterstützung (Support) zur Wahrung der eigenen Integrität wahrt.




November 2023