Über unsere Körperhaltung
Gespräche über die Körperhaltung sind häufig mit einer gewissen Schwermütigkeit und Unzufriedenheit verbunden: sollten die Schultern nicht weiter zurückgezogen werden, muss die Nase nicht nach oben zeigen, und der Bauch wölbt sich doch viel zu weit nach vorne? Fernab der Tatsache, dass die einzelnen Aussagen zutreffend sein können, bilden sie nur einzelne Aspekte einer erstrebenswerten Körperhaltung ab.
Grundlegend sollten wir uns von dem Konstrukt einer starren Haltung verabschieden und die Möglichkeiten einer beweglichen Körperposition in Betracht ziehen. Was genau bedeutet das? Unser Leben findet in Bewegung statt - sobald wir uns nicht mehr bewegen, leben wir nicht mehr.
“Egal, wie ruhig ein Mensch stehen mag, er wird sich stets seinen Atmungs-, Kreislauf- und Wahrnehmungsbedürfnissen anpassen. Eine lebendige Welt ist voller Bewegung.”
- Dr. Ida Rolf
Dementsprechend stellt unsere Körperhaltung die Voraussetzung für unser Leben dar und ist keinesfalls ein Selbstzweck. Eine gute Körperhaltung ermöglicht es unserem Körper, alle zu einem bestimmten Zeitpunkt nötigen Funktionen effizient und frei zu erfüllen. Die fundamentalste aller Funktionen ist unsere Atmung. Circa 20.000 Mal atmen wir täglich ein und aus. Dabei wäre es schön, den kompletten Atemraum nutzen zu können, also sowohl unseren Bauch als auch unseren Brustkorb in die Atmung zu integrieren. Die Atmung ist eine aktive Bewegung, initiiert durch unser System aus Muskeln und Faszien. Je freier und tiefer sich die Atmung entfalten kann, umso besser kann sich der Körper wechselnden Gegebenheiten anpassen, bspw. wenn wir Treppensteigen oder Sport machen. In diesem Kontext erlaubt eine adäquate Körperhaltung also eine freie Atembewegung in ihrem gesamten Spektrum der tiefen Ein- und Ausatmung.
Eine weiterer Aspekt unseres Lebens stellt die Fortbewegung dar. Als Menschen bewegen wir uns natürlicherweise auf zwei Beinen, setzen einen Fuß vor den anderen. Damit dies gut und effizient gelingt, sollten einige Voraussetzungen erfüllt sein. Der Große Zeh benötigt ein gewisses Maß an Streckung, damit sich der Schritt ordentlich auslösen kann. Die Hüfte sollte sich gut in die Streckung bewegen lassen, verbunden mit einer Innenrotation des Gelenks. Das Becken sollte in sich beweglich genug sein, um eine gegengleiche torquierte Dynamik anzunehmen, die die Gangbewegung körperaufwärts in den Schultergürtel transferiert. Sobald diese exemplarisch dargestellten Funktionen des komplexen Gangmusters erfüllt sind, besteht grundlegend die Möglichkeit, einen feinen und anmutigen Gang zu entwickeln. Eine adäquate Körperhaltung ist in diesem Kontext also die Summe aus Bewegungsmöglichkeiten einzelner Segmente, sowohl von Knochen und Gelenken als auch von Muskeln. Sind diese Möglichkeiten vorhanden, dann können sich die einzelnen Segmente so aufrichten und übereinanderstapeln, dass die Schwerkraft ungehindert durch unseren Körper hindurchfließen kann.
"Eine gute Körperhaltung setzt sich demnach aus verschiedenen
Komponenten zusammen und stellt die Voraussetzung für die Bewegung unseres Lebens dar."
Im Rolfing® streben wir unter anderem diesem Ziel nach. Durch bewusste Berührung und aktive Bewegungsaufforderung können sich Spannungen im Körper zueinander ausbalancieren, sodass eine natürliche Ausrichtung der einzelnen Segmente entstehen kann. Dabei wird primär das fasziale Netzwerk angesprochen, das in seiner Funktion durchaus ambivalent auftritt: einerseits verbindet es entfernte Strukturen im Körper miteinander, andererseits trennt es aber auch benachbarte Strukturen voneinander. Ziel der Arbeit mit den Faszien ist es demnach, die spezifische Funktion zu erkennen und (wieder-) herzustellen.
Gelingt dies, kann eine mühelose Aufrichtung des Körpers im Feld der Schwerkraft entstehen. Die anfangs erwähnte Schwermütigkeit im Hinblick auf die Körperhaltung weicht einer neuen Leichtigkeit und Freude. In Verbindung mit einer tieferen Wahrnehmung des Körpers und seiner Position und Bewegung im Raum fällt es dem Klienten schlussendlich einfacher, die eigene Haltung den dynamischen Bedürfnissen anzupassen und so selbstbestimmt und selbstbewusst durch den Alltag zu schreiten. Eine gute Körperhaltung setzt sich demnach aus verschiedenen Komponenten zusammen und stellt die Voraussetzung für die Bewegung unseres Lebens dar.
August 2023