Gute Bewegung

Der Versuch einer Definition

Ein Ziel der Rolfing-Behandlung ist es, eine gute Bewegung entstehen zu lassen. Gerne werden jene guten Bewegungen mit Worten wie anmutig, leicht oder harmonisch attribuiert. Doch welche Bedeutung steckt hinter diesen Beschreibungen? Was macht eine normale Bewegung zu einer guten Bewegung?


Wie so häufig wird es auf die Frage nicht eine klare und unstrittige Antwort geben. Dennoch lässt sich eine Annäherung finden, die einen Rahmen darstellt, in dem sich gute Bewegung entwickeln kann. Grundsätzlich sollte zuerst festgehalten werden, dass es in einem organischen System keine unnatürlichen Bewegungen gibt: Jede Bewegung, die willkürlich ausgeführt werden kann, entspricht der originären Veranlagung des Körpers. Jede Bewegung ist also in gewisser Weise eine gute Bewegung, da sie zum Leben dazugehört.

Nichtsdestotrotz können mit bestimmten Bewegungen positive und vorteilhafte oder negative und nachteilige Prozesse im Körper angestoßen werden. In diesem Kontext lassen sich konträr zueinander stehende Zustände darstellen, unter anderem raumgebend vs. komprimierend, ent-spannend vs. an-spannend, kontrolliert vs. unkontrolliert, energieeffizient vs. energieverschleudernd. Dabei bedingt die Optimierung des einen Zustandes die Existenz des anderen. Es geht also niemals um die Vermeidung des vermeintlich negativen, sondern um den Erhalt von Möglichkeiten. Der Körper sollte wie ein Pendel aus einer zentrierten Position heraus in alle Richtungen ausschlagen können. Nur dann erhält er seine maximale Bewegungskapazität und Anpassungsfähigkeit. Eine gute Bewegung entsteht also im Spannungsfeld gegenläufiger Bewegungsoptionen. 

Ziel einer Intervention sollte insbesondere die positive Anpassung sein, die sich wiederum spezifisch auf die individuellen Ressourcen und Gewohnheiten bezieht: So kann eine Person mehr Entwicklungsmöglichkeit in Richtung Entspannung besitzen, da sie im Alltag eher angespannt (gestresst) auftritt. Einer anderen Person hingegen kann es schwerfallen, Anspannung aufzubauen und Kraft zu generieren. Daraus resultiert, dass eine gute Bewegung individuell auf die Voraussetzungen und Gegebenheiten bezogen ist.
Je nach Aufgabenstellung ergibt sich ein anderer Bewegungskontext: geht es um Leistungssteigerung oder gesundheitliche Fürsorge, um Ästhetik oder Pragmatismus? Eine gute Bewegung erlaubt die zielgerichtete und effiziente Umsetzung der gestellten Aufgabe und ist in diesem Kontext spezifisch für das Individuum und dessen oben genannten Voraussetzungen. Eine von außen betrachtete Bewegung kann also für eine Person und deren Kontext gut sein, während die gleiche Bewegung für eine andere Person nachteilig erscheint. Auf den Lösungsansatz übertragen kann der Gangzyklus bei Menschen verschieden aussehen und trotzdem jeweils vorteilhaft sein. Die notwendigen biomechanischen und physiologischen Voraussetzungen sind jedoch in der Regel identisch.
Bewegung lässt sich als Veränderung der Position des Körpers im dreidimensionalen Raum beschreiben. Je besser die Raumwahrnehmung und Orientierung ist, desto sicherer wird sich die Bewegung darstellen lassen. Erst wenn der Körper Sicherheit verspürt, kann er das adäquate Verhältnis von Spannung zu Entspannung finden und somit Kontrolle über die Situation gewinnen. Aus der kontrollierten Situation heraus entsteht Entscheidungsfreiheit: möchte ich entspannen oder anspannen, Raum nehmen oder geben. Eine gute Bewegung findet demnach kontrolliert, das heißt nach freiem Willen, statt. Dabei muss nicht immer aktiv über den Prozess entschieden werden. Ganz im Gegenteil lässt sich Anmut und Leichtigkeit insbesondere in automatisierten und unwillkürlichen Bewegungen erkennen, die wiederum aus häufiger Wiederholung und damit einhergehender Kompetenz resultieren. Eine Bewegung, die aus einer Entspannung heraus entsteht, vermittelt den Eindruck von Leichtigkeit (s. Blogartikel: Die Kunst des Loslassens).


"Strength that has effort in it is not what you need; you need the strength that is the result of ease."
- Dr. Ida Rolf


Schon diese relativ kurze Auflistung zeigt, dass eine gute Bewegung vielschichtig und komplex sein kann. Der Versuch einer knappen Definition lohnt sich trotzdem: Eine freie und kontrollierte Veränderung der Position des Körpers im Raum resultiert regelmäßig in einer guten Bewegung, die der subjektive Beobachter als anmutig, leicht oder harmonisch beschreibt. 



April 2025